„Es gibt keine Tyranneien, die nicht versuchen, die Kunst einzuschränken, weil sie die Macht der Kunst sehen. Kunst kann der Welt Dinge sagen, die sonst nicht geteilt werden können. Kunst vermittelt Gefühle.“

- Volodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Luc Tuymans

(c)image: M HKA
Vlaams dorp [Flemish village], 1995
Artist Novel , 110.5 x 144.5 cm
oil, canvas

Vor uns taucht eine typische flämische Dorfsansicht auf, so wie scheinbar so viele gemalt worden sind. Wenn die Zuschauer aber kurz vor diesem ‘Polderdorf’ stehenbleiben, bekommen sie das Gefühl, das etwas nicht stimmt. Fenster fehlen, die Türen und Mauern sind geschlossen. Die Friedlichkeit, die meistens von solchen Szenen ausgeht, fehlt, und stattdessen geht eine Drohung davon aus. Es entgeht eine ganze Welt an unserem Blick. Dinge sind unsichtbar oder fehlen und die Leere wirkt befremdend. Dieses befremdende, unbequeme Gefühl nennt man ‘das Unheimliche’, das Fremde, das Unvertraute. Trotzdem scheinen Tuymans’ Kunstwerke auf den ersten Blick das Vertraute, das Heimliche wiederzugeben, bis man sich der Drohung, die von der Totenstille ausgeht, bewusst wird. Oder wie Tuymans selber sagt: ‘Bilder sollen – wenn sie einen Effekt erzielen wollen – eine schreckliche Stille in sich tragen, eine gefüllte Stille oder Leere. Die Zuschauer sollen bewegungslos werden vor dem Bild, erstarren.’

Vlaams dorp (dt. Flämisches Dorf) ist Teil der Heimatserie 1995, in dem Tuymans neben einem urflämischen Dorf auch den Yserturm und den Flämischen Löwen darstellt, die Symbole par exellence des einst so idyllischen flämischen Nationalismus. Die Verwendung von fahlen Farben und die Drohung, anstatt des Friedens, die von dem Bild ausgeht, geben aber die Transformation von den nationalistischen Symbolen in der extrem rechten Ideologie wieder. Für Tuymans sind es dann auch nur hohle, leere Symbole. Das Werk schlieβt auch technisch an Tuymans Gesamtwerk an. Es ist eine ‘authentische Fälschung’, gemalt nach einem Polaroid, ein Model oder, wie in diesem Fall, nach einem existierenden Ölfarbegemälde. Diese Arbeitsweise ist keine freiwillige Wahl des Künstlers, aber in seinen Augen ein notwendiges Übel. Sind immerhin nicht alle Bilder schon mal benutzt worden? Demzufolge bleibt dem Künstler nichts anderes übrig als die Scham des unfreiwilligen Kopierens halber in eine geeignete Konstruktion zu verwandeln. Aber das Endziel liegt für Tuymans nicht in dem benutzten Medium. Nicht wie er es wiedergibt, sondern was er wiedergibt ist wichtig. ‘Nicht das neue Medium oder die neue Technik sind wichtig. Viel wichtiger ist die Mehrdeutigkeit.’.